Riesentürme

Der Burgturm von Stolpe. Foto: C. Krauskopf, BLDAM

Bei allen regionalen Unterschieden und Traditionen entstand im mittelalterlichen Europa eine Adelskultur, die ihre Ideale aus den gleichen Quellen – wie etwa der zeitgenössischen Lyrik oder Erziehungs- und Benimmbüchern – bezog. Die Mobilität war hoch und Kontaktmöglichkeiten bestanden immer. Die adlige Identität manifestierte sich im Verhaltenscodex und im Habitus genauso wie durch die Sachkultur und nicht zuletzt durch die Architektur.

Das heutige Land Brandenburg weist im Vergleich zu anderen europäischen Regionen weniger erhaltene mittelalterliche Adelssitze auf. Unter den Burgen sind jedoch einige von besonderer Bedeutung. Dazu gehört der Burgturm von Stolpe, der nicht nur einer der größten erhaltenen Burgtürme Deutschlands ist, sondern zu einer in vielen Regionen Europas verbreiteten Gruppen von “Riesentürmen” gehört. Auch wenn der Stolper Turm nicht von den Askaniern errichtet wurde, so war diesen die Architektursprache der “Riesentürme” doch vertraut. In der Altmark errichteten sowohl die Askanier als auch die Wettiner derart große Türme, wie etwa in Aschersleben, Wettin und Anhalt.

Der Burgturm von Aschersleben befindet sich heute inmitten des Ascherslebener Zoos – er beherbergte bis vor einigen Jahren Raubvögel. Foto: C. Krauskopf, BLDAM

Zur Erfassung großer Türme wurde ein Mindestdurchmesser von 15m (etwa 50 Fuß) gewählt. Bisher konnten fast 100 Türme registriert werden, die sich von Irland über Wales, England, Schottland, Frankreich, die Schweiz, Deutschland, Polen und Skandinavien verteilen. In den meisten Fällen handelt es sich um Rundtürme, es sind jedoch auch einige tropfen- und kleeblattförmige sowie regelmäßig polygonale darunter. Bei vielen tausend Burgtürmen in Europa ist diese Zahl sehr gering und es ist bereits jetzt klar, dass “Riesentürme” eine architektonische Ausdrucksform des europäischen Hochadels waren.

Burgtürme mit Durchmessern von mindestens 15m. Karte: C. Krauskopf, BLDAM

Die noch laufende Erfassung soll in einer Untersuchung der Motivation der Erbauer münden. Wer baute? Warum so groß? Welche (politischen) Ziele wurden verfolgt? Als Beispiel sei der bislang größte in Europa erfasste Turm der Grafen von Coucy erwähnt (Département Aisne, Frankreich). Graf Enguerrand III. von Coucy (1182- um 1242) ließ den Turm mit 30m Durchmesser und 50m Höhe seit 1220 errichten, in einer Zeit, als er – vergeblich – nach dem französischen Königsthron strebte. In einem Akt sinnloser Barbarei wurde der Turm von deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg gesprengt.

Nicht in jedem Einzelfall wird sich die Motivation der Erbauer nachweisen lassen. Die Türme von Coucy und Stolpe – lassen jedoch bereits eine grundsätzliche repräsentative Funktion der verteidigungstechnisch für die Zeit komplett überdimensionierten und von der Wohnqualität her zweifelhaften Türme erkennen.

Weiterführende Links:

Burgturm von Stolpe

Château de Coucy

Literatur

S. Breitling: Adelssitze zwischen Elbe und Oder 1400-1600. Braubach 2005.

S. Breitling, C. Krauskopf, F. Schopper (Hrsg.): Burgenlandschaft Brandenburg. Petersberg 2013.

C. Krauskopf: Adelige Repräsentation im Spannungsfeld zwischen archäologischen, schriftlichen und bildlichen Quellen. In: J. Zeune (Hrsg.): Adelskulturen auf Burgen. Kolloquium des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Burgenvereinigung, Brixen 2017. Braubach 2019, 147-157.

J. Zeune (Hrsg.): Burg und Expansion. Kolloquium des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Burgenvereinigung, Brandenburg an der Havel 2019. Braubach 2021 (mit zwei Beiträgen zu Burgen in Brandenburg).