Populationsgenetik – Verwandtschaft – Mobilität

Naturwissenschaftlich-archäologische Analysen zum Neolithikum und zur Frühbronzezeit in Brandenburg

©
Beigaben der Dreifachbestattung sechs Goldringe, eine Armschutzplatte aus rotem Sandstein und fünf Pfeilspitzen aus Feuerstein. Foto D. Sommer, BLDAM

Im Rahmen teils umfangreicher Infrastrukturprojekte und kleinerer Rettungsgrabungen im Land Brandenburg ist für die vergangenen 30 Jahre ein massiver Zuwachs neolithischer und frühbronzezeitlicher Einzelgräber und Grabgruppen zu verzeichnen. Insbesondere im Havelland in der Gemarkung Wustermark ist die Dichte frühbronzezeitlicher Bestattungen als außergewöhnlich hoch einzustufen. Eine Erklärung hierfür bieten die am westlichen Rand der Wublitz-Niederung jüngst endeckten und sehr gut erhaltenen Überreste einer ca. 4100 Jahre alten, hölzernen Brücken- oder Stegkonstruktion. In deren Umfeld wurde ein Spektrum beachtlicher Einzelfunde (Bernsteinscheibe, Randleistenbeil, Knochennadeln und Schmuckscheiben aus Geweih) erfasst.

Die ungewöhnlich zahlreichen Einzel-, Doppel-, und Mehrfachbestattungen beiderseits der Wublitz-Niederung, die bereits vor Jahren erfassten Siedlungsstrukturen (frühbronzezeitliche Häuser) oder die herausragende Beigabenausstattung einer im Jahr 2004 untersuchten Dreifachbestattung (Goldringe, Armschutzplatte, Pfeilspitzen und mehrere Gefäßen) stehen offenbar im Zusammenhang mit der weit über 150 Jahre bestehenden Holzkonstruktion und sind Ausdruck einer zentralen Siedlungskammer an einem bedeutenden Verkehrsknotenpunkt.

©
3D Modell der frühbronzezeitlichen Mehrfachbestattung vom Fundplatz Wustermark 46. Modellierung O. Reineke, BLDAM

Eine weitere fast 4000 Jahre alte frühbronzezeitliche Mehrfachbestattung fand sich westlich der Niederung und war Teil einer zeitgleichen Grabgruppe. In einer Siedlungsgrube lagen sechs Individuen mit z.T. tödlichen Hiebverletzungen am Schädel, Stichverletzungen oder Frakturen. Die Grablege fällt den modellierten 14C-Daten nach zeitlich zusammen mit dem Ende der Holzkonstruktion. Erste anthropologische Untersuchungen sowie die Art- und Weise, mit der die Hinterbliebenen die Toten pietätvoll bestatteten, geben konkrete Anhaltspunkte für verwandtschaftliche Beziehungen. Um die These zu prüfen, laufen derzeit genetische Untersuchungen in Kiel. Ein Blick nach Potsdam und in den Nordosten, d.h. in die Uckermark, lässt weitere in den vergangenen Jahrzehnten entdeckte Mehrfachbestattungen in den Fokus der Forschung rücken. Auch aus diesen Regionen sind zahlreiche Einzelbestattungen und mehrere frühbronzezeitliche Bestattungen mit drei oder vier Individuen bekannt.

Für das brandenburgische Neolithikum und die Frühbronzezeit bilden populations- und verwandtschaftsgenetische aDNA-Untersuchungen sowie Isotopenanalysen, mit denen sich die Mobilität von Individuen nachzeichnen lässt, ein großes Forschungsdesiderat. Vor dem Hintergrund einer innerhalb Europas vielfach nachgewiesenen hohen Mobilität einzelner Individuen und kleinerer Gruppen am Beginn der Bronzezeit, soll diesen Fragen in den kommenden Jahren gezielt nachgegangen werden.

Angesichts der mittlerweile zahlreichen Bestattungen entstand die Idee, erstmals für Brandenburg in einer größeren Serie genetische Analysen an alter DNA sowie Isotopenanalysen zur Mobilität und zur Ernährung vorzunehmen. Die von der Typologie unabhängigen, naturwissenschaftlichen Datierungen legen hierfür den zeitlichen Rahmen fest.

In Kooperation mit Instituten der Christians-Albrechts-Universität zu Kiel (Prof. Dr. Ben Krause-Kyora, Institut für klinische Molekularbiologie und Prof. Dr. Johannes Müller, Institut für Ur- und Frühgeschichte) wurde 2023 eine erste Serie mit knapp 60 Skeletten beprobt und damit der Beginn der wichtigen Grundlagenforschung initiiert. Neben naturwissenschaftlichen 14C-Datierungen sind populationsgenetische aDNA-Analysen und Isotopenanalysen (Kohlenstoff/ Stickstoff und Strontium) geplant. Die ersten populationsgenetischen Ergebnisse sind sowohl vielversprechend als auch unerwartet und weisen, beispielsweise für die Mehrfachbestattung mit den sechs Individuen, auf Verbindungen in das frühbronzezeitliche Baltikum.

Ralf Lehmphul

Literatur

Beran, J., Hensel, N.: Zum früh- und mittelbronzezeitlichen Siedlungswesen im westlichen Brandenburg. Rettungsgrabungen und archäologische Baubegleitungen der Archäologie Manufaktur GmbH 1996 bis 2012 (Wustermark). In: J. Kneisel / H. J. Behnke / F. Schopper, Frühbronzezeit-Mittelbronzezeit. Neue Erkenntnisse zur Besiedlung Mitteldeutschlands und angrenzender Regionen (2000-1400 v. Chr.), Symposium vom 24.-25. Sep. 2011 in Welzow, (Bonn 2013), 55-93.

Höppner, F.: Jahrtausendealter Brückenstandort – Die Kuhdammbrücke bei Wustermark, Lkr. Havelland. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2022 (Wünsdorf 2024), 67-70.

Lehmphul, R.: Von Gold, Bogenschützen und einem Konflikt am Ende der Steinzeit – Archäologische Einblicke am Rand der Wublitzrinne, Lkr. Havelland. In: Heimatjahrbuch 2024 für Falkensee und Umgebung (Falkensee 2023), 18-24.   

Lehmphul, R., Stark, J., Jungklaus, B.: Dolch, Axt und Pfeilspitze – Neolithische und frühbronzezeitliche Gräber aus Wustermark, Lkr. Havelland. In: Archäologie in Berlin und Brandenburg 2022 (Wünsdorf 2024), 60-66.

Schwarzländer, S.: Neolithische bis frühbronzezeitliche Siedlungs- und Grabbefunde am Rande des Havelkanals. In: Veröffentlichungen zur brandenburgischen Landesarchäologie 48, 2018, 67-83.

Wetzel, G.: Die spätjungstein-/frühbronzezeitlichen Bestattungen auf den Fundstellen Wustermark 15 und 23, Lkr. Havelland. In: Veröffentlichungen zur brandenburgischen Landesarchäologie 48, 2018, 53-65.