Ein Rind kommt selten allein

16.06.2023

Tierfiguren unterschiedlicher Formgebung vom gleichen Fundplatz. Foto: Lukas Goldmann, BLDAM.

Beharrlichkeit führt oft zum Ziel, so auch in der Bodendenkmalpflege. Im Laufe von elf Monaten gelang dem ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger und vom BLDAM lizensierten Sondengänger Günter Dittrich der Fund zweier bronzener Tierfiguren vom Typ “Hundisburg” auf einem von ihm systematisch begangenen, mehrperiodigen Fundplatz im Landkreis OPR.

Tierfiguren dieser Art galten lange als überaus seltene Funde, werden aber durch den zunehmenden Einsatz des Metalldetektors in der Bodendenkmalpflege in den letzten Jahren immer häufiger an die Landesdenkmalämter Nordostdeutschlands gemeldet. Als besonderer Schwerpunkt der Verbreitung gilt dabei das Gebiet der Mecklenburgischen Seenplatte, doch auch in Brandenburg tauchen immer wieder derartige Figuren auf. Da die Mehrheit der Funde ohne Kontext an der Oberfläche gemacht wurde, war die Datierung lange Thema von Forschungsdebatten, inzwischen liegen aber gut einzuordnende Funde von kaiserzeitlichen Fundplätzen vor und können vereinzelt auch direkt mit datierbaren Befunden in Zusammenhang gebracht werden. Auch die metallurgischen Analysen einiger Objekte sprechen für eine Datierung in die Römische Kaiserzeit.

Unklar bleibt hingegen die Funktion dieser meist nur wenige Zentimeter großen, stark stilisierten Figürchen. Während ihre Körperformen stark variieren und allein oft nur eine Ansprache als Vierbeiner zulassen, erlauben erhaltene Hörner oder zumindest entsprechende Lochungen im oberen Kopfbereich eine Interpretation als Rinderdarstellung. Häufig sind die Beine nur stark vereinfacht dargestellt und manchmal so ausgeprägt, dass die Figuren nicht selbst stehen konnten, sondern vermutlich auf einem anderen Objekt befestigt waren.

Die Hörner sind in der Regel nicht in einem Stück mitgefertigt, sondern nachträglich in einer entsprechenden Lochung im Schädel angebracht worden. Einige Figuren weisen auch in ähnlicher Form nachträglich angebrachte Halsringe auf, die wohl den herrschaftlichen oder religiösen Symbolcharakter der Figuren unterstreichen sollten. Insgesamt symbolisieren diese jeweils als Einzelstück angefertigten Rinderfiguren vermutlich die gleiche Idee, weisen aber ein breites Spektrum unterschiedlicher Formen auf.

Die beiden neuen Figuren aus Oberhavel zeigen dies in besonders schöner Weise. Obwohl sie nur wenige Meter voneinander entfernt gefunden wurden, gehen sie in Form und Ausführung weit auseinander.

Kopf eines der Stiere mit durch den Kopf geschobenem Drahtgehörn. Foto: Lukas Goldmann, BLDAM.

Die etwas größere und gröber gearbeitete Figur 1 ist mit ihrer reliefartigen Gesamterscheinung und den schmal zulaufenden Beinen am ehesten mit dem Fund aus Lütgendorf Fpl. 22 (Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, Mecklenburg-Vorpommern) vergleichbar. Sie weist am unteren Ende jedes der in einem Stück ausgeprägten Beinpaare beidseitig offenbar mitgegossene Zapfenstummel auf, die wohl zur Befestigung an einem anderen Objekt dienten. Ihr ausladendes und geschwungenes Drahtgehörn lässt eher an einen Auerochsen als an ein Hausrind denken.

Die etwas kleinere Figur 2 erinnert mit ihrer kurzbeinigen, langestreckten Gestalt dagegen den heutigen Betrachter auf den ersten Blick eher an einen Dackel, zumal die Hörner nicht mehr erhalten sind und nur eine Durchlochung an der entsprechenden Stelle im Kopf erkennen lässt, dass auch diese Figur einst gehörnt gewesen sein dürfte. Bei Figur 2 wurde der Körper eher plastisch geformt und die Oberfläche insgesamt feiner ausgearbeitet. Auf den kurzen nur schwach abgesetzten Beinen kann die Figur im Gegensatz zur ersten auf einer Oberfläche stehen. Spuren von Befestigungen sind hier nicht erkennbar. Vergleichbar ist sie am ehesten der Figur aus Berlin-Schöneberg, bei der jedoch das Gehörn erhalten blieb und neben dem auch an Figur 2 angedeuteten Maul auch kreisförmige Augen dargestellt sind.

Text: Lukas Goldmann, BLDAM. 30.03.2023.

Literatur:
O.-F. Gandert, Das bronzene Rinderfigürchen von Berlin-Schöneberg. Eine vergleichende Untersuchung. Berliner Blätter für Vor- und Frühgeschichte 7, 1958, 108-152.

E. Schanz/C. M. Schirren, Die Herde wächst. Rinderfigürchen der Römischen Kaiserzeit in Mecklenburg-Vorpommern. Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 26, 2019, 48-67.

A. Muhl, Germanische Rinderstatuetten der Römischen Kaiserzeit aus Sachsen-Anhalt. Kleine Hefte zur Archäologie in Sachsen-Anhalt 16, 2019.